Wenn der Winter kommt - Sicher trotz Oberschenkelamputation

Der Winter stellt Amputierte vor ganz besondere Herausforderungen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, auch weiterhin draußen aktiv zu sein.
Der Winter stellt Amputierte vor ganz besondere Herausforderungen. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, auch weiterhin draußen aktiv zu sein.

Winter is coming...

So, heute ist der 1. Dezember. Und damit ist heute einerseits der Beginn der Adventszeit und andererseits der offizielle Beginn des Winters (zumindest meteorologisch, wenn auch noch noch nicht kalendarisch). Der Winter ist eine - in meinen Augen - tolle Zeit. Ich genieße es jedes Jahr aufs Neue: Die langen Abende, die gemütlichen Stunden zuhause und die Zeit mit Familie und Freunden. Darüberhinaus bin ich auch jemand, der gerade im Winter gerne und viel draußen unterwegs ist. Etwas, dass nach einer Oberschenkelamputation nicht immer ganz einfach ist.

 

Hier ein paar Tips von mir für euch

Da ich mir gut vorstellen kann, dass viele von euch, die sich mit diversen Einschränkungen in den unteren Gliedmaßen rumschlagen,  gewisse Ängste haben, wenn es ums Aktivsein im Winter und ums Gehen auf Eis und Schnee geht, hier ein paar Tips von mir. 

 

Schnell aber noch einen kleinen Disclaimer vorneweg: Bevor ich mit den Tips und Tricks loslege, lasst mich schnell noch ein paar Worte voranstellen. Ich bin seit 2005 oberschenkelamputiert und komme mit der Prothese - einem Genium X3 von Ottobock - sehr gut zurecht. Ich gehe viel zu Fuß und fühle mich auch abseits befestigter Wege wohl. Und da ich ansonsten relativ fit bin, habe ich kaum Angst, sollte es mich dann doch mal hinlegen. Daher sind die folgenden Tips und Tricks Dinge, die für mich funktionieren. Das kann natürlich für den ein oder die andere von euch ganz anders sein. 

 

 

Meine ganz persönlichen Top 10

So, jetzt aber mal los. Meine zehn Tips für all jene, die auch im Winter viel draußen unterwegs sein wollen.

 

  • Die Fähigkeit, sich als Mensch mit Amputation auf sich wechselnden Situationen und auf sich verändernden Untergründe und unerwartete Herausforderungen beim Aktivsein in der Natur einlassen können und sich dabei noch immer sicher zu fühlen kommt nicht von alleine. Das will gelernt sein. Und das Tolle ist, es kann erlernt  werden. Die Übung - und das damit verbundenen Gefühl einer zunehmenden Sicherheit und Gelassenheit - kommt mit der Zeit und durchs Machen; sprich durchs häufige Gehen im Freien.
  • Im Großen und Ganzen ist ja relativ klar, wann wir mit dem Winter zu rechnen haben. Mehr oder weniger zumindest. Daher bietet es sich für all jene, die im Winter viel draußen aktiv sein wollen an, bereits im Sommer und Herbst zu üben. Wer sicher auf befestigten Wegen unterwegs ist, der versucht sich einfach mal auf unebenen Waldwegen. Wer bereits viel auch auf unebenen Pfaden geht, der springt beim nächsten Sommergewitter einfach in eine Regenjacke und versucht sich  auf matschigen und rutschigen Wegen. Wer im Alltag mit allen Begebenheiten gut zurechtkommt, der wagt sich mal an etwas steileres; mal auf einem Weg, mal queerfeldein. Nur durch dieses Machen und das langsame Ausloten - und gerne auch mal Überschreiten - der eigenen Grenzen lernen wir, was die Prothese wann macht, wie wir in bestimmten Situationen reagieren, wo wir sicher unterwegs sind und wo nicht. 
  • Ob du dieses Ausprobieren gerne alleine oder lieber mit anderen zusammen machst, das bleibt ganz dir überlassen. Ich weiß allerdings von vielen anderen mit Einschränkungen des Bewegungsapparates, dass sie gerade zu Anfang gerne eine helfende Hand in der Nähe haben. Jemand, der dann doch mal unterstützend tätig werden kann.
  • Egal wo auf diesem Weg des Ausloten des Machbaren du dich gerade befindest, so kann ich mir gut vorstellen, dass ein paar Trekking-Stöcke dir zusätzliche Sicherheit geben und dir nach und nach Wege in Gegenden erschließen, die dir ohne solche Stöcke verschlossen bleiben. Daher ruhig mal ausprobieren, ob das was für dich wäre. Und auch hier: Gerne wieder im Sommer und Herbst loslegen, bevor die Stöcke wirklich gebraucht werden und bevor Handschuhe, Kälte und Nässe das Ausprobieren erschweren.   
  • Was Trekking-Stöcke angeht, so möchte ich euch dazu ermuntern, hier nicht auf die Modelle vom Discounter zurückzugreifen. Lasst euch gut beraten und investiert lieber ein paar Euro mehr und dann habt ihr ein paar Helfer, die euch jahrelang begleiten werden. Ich habe in den letzten 17 Jahren zwei Paar Trekking-Stöcke genutzt und bin im Großen und Ganzen mit beiden sehr zufrieden. Beide Paare sind noch immer im Einsatz und tun, was sie sollen. 
  • Bei Trekking-Stöcken gibt es einige Punkte, die ich für wichtig halte. Andere sind in meinen Augen zweitrangig. Klar, da ist der Preis. Was du ausgeben willst oder kannst, das musst du selbst wissen. Aber gute Stöcke sind so ab etwa 70,00 Euro zu haben. Zudem sind ständig hervorragende Modelle irgendwo im Angebot. Alu oder Carbon? Das ist eine Preisfrage und hat Auswirkungen aufs Gewicht, war mir aber nie wirklich wichtig. Ich benutze seit Jahren Alu-Modelle, da die einiges billiger sind. Und die tun ihren Job. Ebenso fand ich es stets unerheblich, ob ein Stock nun besonders klein zusammenschiebbar ist oder nicht.
  • Mich haben dagegen immer zwei Details genau interessiert. Zum einen die Art und Weise, wie die einzelnen Segmente der Stöcke arretiert werden. Da gibt es einerseits Schraubdübel; sprich die einzelnen Segmente werden einfach gegeneinander verdreht. In die eine Richtung öffnet sich der Dübel und du kannst die Länge des Trekking-Stocks verstellen. In die andere spreizt sich der Dübel und arretiert den Stock auf gewünschter Länge. Zudem gibt es sogenannte Speedlocks. Dazu ist an jedem Segment des Teleskopstocks eine Klemme verbaut. Wenn du die in die eine Richtung umlegst, sind die Segmente frei-bewegbar. Legst du die Klemme wider in die andere Richtung um, sind alle Teile fest arretiert. Alles in allem funktionieren beide Systeme gut. Allerdings finde ich die Speedlocks bei nassem und kaltem Wetter, mit Matsch an den Stöcken, mit verfrorenen Fingern oder Handschuhen wesentlich leichter zu bedienen. Das zweite in meinen Augen wichtige Detail ist der Griff. Zum einen gibt es einige Materialien, die ich mehr mag als andere (hier gibt es Kork und diverse Kunst- und Schaumstoffe). Zum anderen finde ich es wichtig, dass der Griff recht lang ist. Damit ist garantiert, dass du den Stock an ein sich veränderndes Terrain (kurze steile An- und Abstiege) durch ein einfaches Umgreifen anpassen kannst, ohne jedesmal die Länge des Trekking-Stocks anpassen zu müssen.
  • Neben den Stöcken, ist natürlich ein gutes Schuhwerk mit einer Profilsohle wichtig. Hierbei ist zu beachten, dass Leute mit Prothesen der unteren Extremitäten meist den Fuß nicht bewegen können. Der ist ja in einer bestimmten Position eingestellt. Das bringt beim Bergabgehen schon die Herausforderung mit sich, dass wir meist nur den letzten Zentimeters der Sohle nutzen. Auf trockenen, festen Wegen kein Problem. Auf Matsch und nassem Laub schon eher eine Herausforderung, da der Fuß schneller weg rutscht. Auf Eis und Schnee für viele ein wirklicher Angstfaktor. Auch hier können Trekking-Stöcke helfen, in dem sie Gewicht von den Beinen nehmen und auf die Arme verteilen, bis du merkst, dass der Fuß sicher sitzt. Also nicht wundern, wenn du nach einer Wanderung plötzlich Muskelkater in den Armen hast.
  • Wer hier mehr Sicherheit haben möchte, der kann auch auf schnell anzubringende ‚Schneeketten‘ und Spikes zurückgreifen (sogenannte Grödel). Hier gibt es eine ganze Reihe von verschiedenen Modelle; von eher niedlichen Bändern mit sechs oder acht kleinen Metallstiften pro Schuh bis zu soliden Modellen, die an kleine Steigeisen erinnern und mit 14-20 Zähnen pro Schuh glänzen. Einige Modelle werde mittels starker Gummi- oder Silikonbänder über die Schuhe gezogen (wie zum Beispiel der Alpin Locker Chain Pro 18 Grödel). Andere klassisch mit Spanngurten (wie zum Beispiel der Grivel Spider). Was für wen taugt, das hängt sehr davon ab, was du vorhast und in welchem Gelände du unterwegs sein willst. Diese Winterhilfen schlagen mit etwa 250-500 Gramm pro Paar zu Buche. Zudem bietet Icebug Schuhe an, in deren Sohlen bereits kleine Spikes eingearbeitet sind. 
  • So, und last but not least: Bitte auch im Winter schauen, dass ihr alles tut, um einen möglichst guten Sitz des Schaftes zu garantieren. Sprich: Genug trinken, um das Volumen des Stumpfes konstant zu halten. Eventuell neue Dichtlippen für den Liner besorgen. Oder auch mit Kinesiotape und anderen Tricks nachhelfen. Gerade im Winter finde ich eine präzise Platzierung des Fußes essentiell. Und dafür ist ein sehr gut sitzender Schaft von Nöten.

 

Soweit erst einmal meine Tips. Ich hoffe, da war jetzt für jeden etwas dabei. Und jetzt heißt es: Warm anziehen und raus in die Natur. Der Winter ist eine tolle Jahreszeit. Auch für Amputierte.

 

 

Beitrag von Bjoern Eser, dem Gründer von und Macher hinter The Active Amputee. Dieser Text ist Teil meiner Kooperation mit Ottobock und ist auch auf der social media Plattform movao zu finden.

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