Meine Reise in die Amputation - Teil 3

Nach einem Jahr des Kampfes gegen eine Infektion war es an der Zeit, sich von dem Bein zu verabschieden und weiterzuziehen.
Nach einem Jahr des Kampfes gegen eine Infektion war es an der Zeit, sich von dem Bein zu verabschieden und weiterzuziehen.

Mehr Ärger Im Anmarsch

In Teil I meiner Reise ging es um mein Krebsjahr; das Jahr von der Diagnose eines Osteosarkoms über die große Operation, bei der fast mein gesamtes Schienbein entfernt und durch eine Endoprothese ersetzt wurde, bis hin zum Ende der Chemotherapie.

 

In Teil II ging es um meinen Weg zur Genesung; mehrere miteinander verbundene Reisen, die es mir ermöglichten, wieder fit zu werden und das Vertrauen in meine körperlichen Fähigkeiten wiederzuerlangen. Während dieser Zeit verbrachte ich längere Phasen in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Südafrika und in Uganda.

 

Und heute berichte ich vom dritten und letzten Teil meiner Reise in die Amputation. Damit ist dann die Bühne bereitet für all die Blogposts und Podcast-Episoden, die ihr hier findet (und auch in Zukunft weiter finden werdet).

 

Eine Sehr Hartnäckige Infektion

Ich war gerade aus Uganda zurückgekehrt, wo ich etwas mehr als die letzten drei Jahre verbracht hatte. Im Laufe der Zeit bereitete mir meine Endoprothese immer größere Probleme. Es schien, als sei der Hauptbolzen - oder das Gehäuse, in dem er läuft - abgenutzt. Ein bisschen wie ein altes Türscharnier, das zu viel Spiel hat. Und da dies das wichtigste bewegliche Teil war, von dem das künstliche Knie abhing, wurde das Gehen immer schwieriger, immer anstrengender und von Zeit zu Zeit auch sehr schmerzhaft.

 

Nach meiner Rückkehr aus Ostafrika wollte ich es also schnell reparieren lassen und dann nach London ziehen, um eine neue Stelle in einer dynamischen Organisation für Konfliktbewältigung und Friedensförderung anzutreten. Die Operation verlief gut, so schien es zumindest. Aber die Heilung zog sich und dauerte dann doch viel länger als erwartet. Aber das war zu diesem Zeitpunkt nichts, worüber ich mir Sorgen gemacht hätte. Und nach ein paar Wochen schien alles in Ordnung zu sein. Also begann ich mein neues Leben im Vereinigten Königreich. Ein Leben in einer neuen Stadt mit einem neuen Job und neuen Aufgaben. Ein Umfeld, in dem es viel zu entdecken und zu erleben gab. 

 

Dieser neue Job brachte mich regelmäßig zurück nach Uganda. Auf einer der ersten dieser Geschäftsreisen bemerkte ich eine Schwellung direkt unter meiner Kniescheibe (wenn die Endoprothese eine hätte). Und sie wurde von Tag zu Tag größer. Nicht gut, ganz und gar nicht gut! Es schien, als hätte ich mir eine Infektion eingefangen. Und genau davor hatte man mich immer gewarnt. Normalerweise kann eine Infektion mit den üblichen Antibiotika erfolgreich behandelt werden. Aber in meinem Fall, so sagte man mir schon vor Jahren, würde es viel schwieriger sein. Aufgrund des großen Metallimplantats und der stark eingeschränkten Durchblutung nach der Hauptoperation würde es viel schwieriger sein, mich zu behandeln. Und die Chancen, eine Infektion tatsächlich in den Griff zu bekommen, wären deutlich geringer als bei anderen Patient*innen.

 

Ein Besuch in der Praxis in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, bestätigte meinen Verdacht. Das Geschwür war voller Eiter, und um zu verhindern, dass es irgendwo und unerwartet platzt, beschlossen wir, es an Ort und Stelle zu entleeren. Ich erhielt Anweisungen zur Reinigung und Behandlung der Wunde, bekam Antibiotika verschrieben und ging dann erst einmal in ein Café, um zu entscheiden, wie es weitergehen sollte.  

 

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Endoprothese bereits seit 17 Jahren. Ich erinnerte mich an die Worte des Orthopäden aus dem Jahr 1987 - "sie wird wahrscheinlich zwischen fünf und fünfzehn Jahren halten; so genau können wir das nicht sagen" - und da wurde mir bewusst, dass mein Metallknie sein Verfallsdatum eventuell erreicht haben könnte. Außerdem hatte ich die Einstellung entwickelt, mich von meiner Endoprothese nicht einschränken zu lassen; zumindest nicht, wenn es nicht wirklich notwendig ist.

 

Also - okay, jetzt sehe ich schon, wie einige von euch ungläubig den Kopf schütteln angesichts dessen, was jetzt kommt, die Augen rollen - beschloss ich, meine Reise fortzusetzen und mich um das Bein zu kümmern, sobald ich wieder in Großbritannien bin.

 

Zwei Tage später zog ich weiter, reiste von der Hauptstadt hinauf in den Norden des Landes und einige Tage später dann weiter in den Südsudan. Ich habe versucht, die Wunde so sauber wie möglich zu halten. Aber natürlich sind dem Grenzen gesetzt, wenn man in einem tropischen Land während der Trockenzeit unterwegs ist, hauptsächlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln reist, meist in ländlichen Gebieten und oft ohne Zugang zu sauberem Wasser ist und selbst der Zugang zu einer auch nur rudimentären medizinischen Infrastruktur nicht gegeben ist. Aber irgendwie fühlte es sich damals richtig an, das so zu machen.

 

Zurück in Großbritannien war der National Health Service, also der Nationale Gesundheitsdienst des Landes, keine große Hilfe. Mein Arzt war zunächst der Meinung, dass ein paar entzündungshemmende Tabletten ausreichen würden. Nun, das taten sie nicht. Ich beschloss, zurück nach Deutschland zu gehen, um die Situation richtig einschätzen zu können und mit einer wie auch immer gearteten Behandlung zu beginnen. In den kommenden Monaten pendelte ich zwischen London und Deutschland hin und her und versuchte, den bakteriellen Ansturm auf verschiedene Weise in den Griff zu bekommen. Die erste Antibiotikagabe schien die Infektion zwar einzudämmen, konnte sie aber nicht aufhalten. So entschieden wir uns schließlich für eine weitere Operation, bei der die Antibiotika direkt am Epizentrum der Infektion eingesetzt wurden. Doch obwohl dies zunächst gut zu wirken schien, kehrte das Problem bald wieder zurück.

 

 

Abwägung Meiner Optionen

Nach einiger Zeit hatte ich die Nase gestrichen voll von der Situation, vom ständigen Auf und Ab und von der Tatsache, dass sich mein Leben darauf zu beschränken schien, zur Arbeit zu gehen, nach Hause zu kommen, mich auszuruhen - ich fühlte mich ständig erschöpft - und meine Freizeit in der einen oder anderen medizinischen Einrichtung zu verbringen. Das musste sich ändern.

 

Die Organisation, bei der ich damals arbeitete, unterstützte mich sehr. Nachmals besten Dank, Conciliation Resources. "You rock!". Es war kein Problem, den Urlaub zu nehmen, den ich brauchte, um mich auf mein Bein zu konzentrieren. Ich recherchierte einige Tage lang im Internet, um mehr über die Möglichkeiten zu erfahren, die ich hatte. Nach ein paar Tagen war mir klar, dass mir im Grunde vier mögliche Alternativen zur Verfügung standen. Etwas vereinfacht lauteten diese wie folgt:  

 

  • Nr. 1: Die Infektion mit Antibiotika in Schach halten und ansonsten vorerst nichts tun.
  • Nr. 2: Das Metallimplantat entfernen lassen, das Bein drei Monate lang mit einem externen Fixateur auf Streckung halten, während das Bein mit Antibiotika gespült wird. Dann wird ein neues Metallimplantat eingesetzt, wobei diesmal das Kniegelenk verloren geht und das Implantat höher im Oberschenkelknochen verankert wird. Weitere drei Monate für die Heilung, in denen ich das neue Implantat nicht belasten kann. Dann hoffen, dass die Infektion besiegt ist - die Chancen, so sagte man mir, stünden bei etwa 70/30 - und ein Leben mit einem steifen Bein beginnen. Und immer noch mit einem Metallimplantat in meinem Körper, das für genau das Problem anfällig ist, das ich gerade zu lösen versuchte. Wenn die Infektion immer noch aktiv wäre oder wiederkäme, würde sie weiter oben im Oberschenkel auftreten, was zu einer Amputation mit einem sehr kurzen Stumpf führen könnte.
  • Nr. 3: Diese Operation wird Umkehrplastik genannt. Im Grunde genommen amputiert man das Bein oberhalb des Knies. Und man amputiert auch den Fuß. Dann verbindet man den Fuß mit der oberen Extremität, aber die Zehen zeigen nach hinten. Ja, das sieht ein bisschen ungewöhnlich aus. Aber es hat den großen Vorteil, dass man mit der Zeit lernen kann, den Fuß immer mehr zu strecken, so dass die Zehen immer deutlicher nach unten zeigen. Und mit ein bisschen Übung und einer Unterschenkelprothese kannst du dann deinen ehemaligen Knöchel als neues Kniegelenk benutzen. In vielerlei Hinsicht eine bessere Option als eine Oberschenkelamputation, denn du hast aktive Kontrolle über dein Kniegelenk. Aber leider ist das nicht immer möglich.
  • Nr. 4: Die gute alte Oberschenkelamputation. Die Idee war, dass der Verlust des Beins in Kombination mit Antibiotika die Infektion beseitigen würde. Da kein neues Metallimplantat benötigt wird, wäre das Risiko ähnlicher Probleme in der Zukunft minimal. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der modernen Prothetik seit den späten 1990er Jahren waren bedeutend und haben es Amputierten ermöglicht, ein normales Leben zu führen und einen aktiven Lebensstil zu haben.

 

So viel zu meinen Erkenntnissen aus der Internetrecherche. Es folgte eine Zeit, in der ich mich mit verschiedenen Ärzten, Amputierten, Physiotherapeuten usw. traf, um mehr über die verschiedenen Möglichkeiten zu erfahren und herauszufinden, welche für mich am besten geeignet sein könnte. Ich war fest entschlossen, meine eigene Entscheidung zu treffen. Und das bedeutete für mich, eine informierte Entscheidung zu treffen. 

 

Ich ging von dem erwarteten Endergebnis aus. Ich hatte eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie ich mein Leben in fünf, zehn Jahren führen wollte. Mir war klar, dass ich unabhängig leben und in der Lage sein wollte, zu arbeiten und meinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich wollte nicht von regelmäßigen medizinischen Behandlungen abhängig sein oder jahrelang Medikamente einnehmen. Ich wollte körperlich aktiv sein und Sport treiben, den ich mag und der mir guttut. Ich wollte das Selbstvertrauen entwickeln, neue Dinge auszuprobieren, ohne durch Sorgen um meine Gesundheit behindert zu werden. Ich wollte weit und abseits der ausgetretenen Pfade reisen; eventuell auch wieder mehrerer Jahre in Ländern des Globalen Südens leben. Das waren meine Leitgedanken.

 

Diese Klarheit darüber, wie ich mein Leben leben wollte, war der Schlüssel zu meiner Entscheidung. Ich konnte meine Optionen sofort auf zwei eingrenzen: Nr. 3 und Nr. 4. Und nach einem zusätzlichen Beratungsgespräch mit einem Spezialisten für die Umkehrplastik wurde schnell klar, dass eine eben solche Umkehrplastik aufgrund meiner medizinischen Vorgeschichte nicht in Frage kam. So blieb mir nur eine Amputation oberhalb des Knies.

 

 

Ein Erfahrenes Team Finden, Dem Mensch Vertraut

Während dieses Prozesses fühlte ich mich oft unglaublich frustriert. Kaum ein Mediziner - und ja, es waren alles Männer -, mit dem ich sprach, war bereit, den Prozess auf der Grundlage meiner Vision für meine Zukunft anzugehen, d. h. ein aktives Leben führen zu können, ohne mir ständig Sorgen um den Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsinfrastruktur machen zu müssen. Für fast alle hatte der Erhalt des Beins oberste Priorität. Ob ich es danach richtig nutzen und ein aktives und unabhängiges Leben führen könnte, schien weniger wichtig zu sein.

 

Zur gleichen Zeit hatte ich das große Glück, auf einen Artikel über eine kleine Klinik in Bayern zu stoßen, die sich auf Amputationen spezialisiert hatte. Die Amputationsfachklinik in Osterhofen bei Deggendorf. Ihr Konzept war einfach: Alles, was ein potenzieller Amputierter brauchen könnte, unter einem Dach anzubieten. Die Klinik hat nicht nur viel Erfahrung mit Amputationen, sondern bietet auch spezielle Rehabilitationsmaßnahmen für Amputierte an. Und das bereits ab einem sehr frühen Stadium nach der Operation. Darüber hinaus arbeitet die Klinik mit einem Team erfahrener Orthopädietechniker*innen zusammen, die die Patient*innen auf ihrem Weg von der ersten Interims- bis hin zur endgültigen Prothese begleiten. Ein echter One-Stop-Shop. Und soweit ich weiß, der einzige seiner Art in Mitteleuropa.

 

Dr. Haas, der damalige Leiter der Klinik, ist selbst oberschenkelamputiert und war früher Mitglied der deutschen paralympischen Skimannschaft. Als ich mich mit meinen Fragen an ihn wandte, war er nicht nur bereit, sie alle ausführlich zu beantworten, sondern er wies mich auch auf zusätzliche Aspekte hin, die ich bedenken sollte. Er erläuterte mir die Vor- und Nachteile verschiedener medizinischer Verfahren, gab mir einen Überblick darüber, welche Prothesenversorgung das deutsche Gesundheitswesen zur Verfügung stellt, und bot mir an, die Verbindung mit anderen Patient*innen, Physiotherapeut*innen und Orthopädietechniker*innn herzustellen. Er ermutigte mich nachdrücklich, mit ihnen zu sprechen, zusätzliche Meinungen einzuholen und dann eine informierte Entscheidung zu treffen. Das war genau das, was ich brauchte.

 

Von meinem ersten Telefongespräch mit Dr. Haas an ging alles sehr schnell. Ich besuchte die Klinik, sprach mit anderen Amputierten, von denen einige sehr zufrieden mit dem Verlauf der Dinge waren, während andere doch sehr mit ihrer neuen Situation zu kämpfen hatten. Ich traf mich mit Physiotherapeut*innen und sah, wie gut es ihnen gelang, die Menschen wieder auf die Beine zu bringen. Und ich sah einige der damals neuen Hightech-Prothesen in Aktion. Innerhalb weniger Tage hatte ich meine Entscheidung getroffen. Für mich war eine Amputation, gefolgt von einer intensiven Rehabilitation, der beste Weg in die Zukunft. Daran bestand für mich kein Zweifel.

 

Eine Woche später meldete ich mich in der Klinik an, ließ mir das Bein amputieren, war drei Tage später von den Schmerzmitteln befreit und feierte eine Woche später meinen 34. Geburtstag. Die Amputation war der Startschuss für einen neuen Abschnitt in meinem Leben. Und obwohl ich meine Höhen und Tiefen hatte (und auch heute/Jahre später noch habe), habe ich die Entscheidung zur Amputation nie bereut. Nicht einen einzigen Tag.

 

 

Post von Bjoern Eser, dem Gründer von und Macher hinter dem The Active Amputee.

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